Wenn Migrationsberatung Win-win-Situationen schafft
Hebammen sind in Deutschland gesucht. Adeola B.* ist Hebamme und seit vergangenem Oktober begleitet sie Geburten an einer baden-württembergischen Uniklinik. Ohne die Unterstützung der Migrationsberatungsstelle in Lörrach gäbe es diese Win-win-Situation nicht, die für die Klinik genauso wertvoll ist wie für die junge Frau.
Adeola B. stammt aus Nigeria, wo sie zur Hebamme ausgebildet wurde. Obwohl sie als Hebamme in Nigeria sehr gute berufliche Perspektiven gehabt hätte, wollte sie aus verschiedenen politischen und familiären Gründen weg aus ihrer Heimat und in Europa ein neues Leben beginnen.
Im Herbst 2019 kommt sie als Au-pair in eine Familie nach Südbaden, mit dem Ziel ihre Deutschkenntnisse noch weiter zu verbessern. Auf den neuen Lebensabschnitt hat sich Adeola B. gut vorbereitet. Sie kommt mit einem B1-Sprachzertifikat im Reisegepäck nach Südbaden, in Nigeria hatte sie bereits in der Schule Deutsch und später am Goethe-Institut Deutsch gelernt.
Schnell ist für Adeola B. klar, dass sie nach ihrer Zeit als Au-pair gerne in Deutschland bleiben und hier in ihrem Beruf als Hebamme arbeiten möchte, zumal die Rückkehr keine gute Perspektive ist. Doch es stellt sich heraus, dass der Weg, um als Fachkraft in Deutschland bleiben zu können, extrem kompliziert ist. Über Freunde bekommt Sie den Tipp, die Migrationsberatung des Deutschen Roten Kreuzes aufzusuchen.
Mit der Hilfe des Sozialarbeiters aus der Migrationsberatungsstelle vor Ort im Landkreis Lörrach – und unterstützt vom Beratungszentrum zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen der Liga der freien Wohlfahrtspflege für den Regierungsbezirk Freiburg – arbeitet sich Adeola B. durch Unterlagen und Dokumente. Viele Abklärungen müssen erfolgen mit der Ausländerbehörde, der Anerkennungsstelle, der Arbeitsmarktzulassung, der Arbeitsagentur vor Ort. Die Finanzierung des Lebensunterhaltes während der Anpassungsmaßname muss mit dem zukünftigen Arbeitgeber geklärt werden, wie auch die Frage nach einer bezahlbaren und passenden Wohnmöglichkeit. Im Januar 2020 stellen sie beim Regierungspräsidium den Antrag auf Anerkennung ihrer Ausbildung als Hebamme. Die erste Antwort lautete: „Das wird etwa ein Jahr dauern, mindestens“. Zu lange, denn die Aufenthaltserlaubnis als Au-Pair ist befristet bis Oktober 2020 und die Ausländerbehörde benötigt eine Bestätigung der Anerkennungsstelle, dass die Qualifikation anerkannt werden wird. Die 25-jährige hat Angst, im Herbst ohne Aufenthaltstitel dazustehen. Dann kommt Corona. Ämter sind nur noch telefonisch zu erreichen, Treffpunkte schließen und die Sorge wächst, dass sich die Bearbeitung von Anträgen verzögert. Die Beratungsarbeit wird digital. Nicht nur Adeola B. ist gestresst. Für viele Zugewanderte beginnen schwierige Zeiten. Jobs fallen weg, gerade in der Gastronomie. Kinder müssen auf einmal daheim unterrichtet werden. Dazu kommen finanzielle Nöte sowie Sorgen um die eigene Gesundheit und die der Familien in der Heimat. Die Beraterinnen und Berater sind jetzt besonders gefordert.
Der Druck ist hoch. Adeola B. macht dennoch weiter, arbeitet hin auf ihr Ziel. Wichtig ist, dass sie in der Situation nicht allein gelassen wird. Nach der ersten Corona-Welle im Frühjahr sind persönliche Beratungen wieder möglich. Das erleichtert manches. „Es gab ganz viele Treffen“, erinnert sich die Hebamme, die offen sagt: „Ich wusste nicht, wie diese Dinge gehen.“ Alle Unterlagen müssen übersetzt werden: Reisepass, Geburtsurkunde, vor allem die Ausbildungsnachweise. Dazu müssen die richtigen Begleitformulare ausgefüllt und eingereicht werden. Allein hätte sie das nicht geschafft, trotz ihrer sehr guten Sprachkenntnisse. Zwischen ihren Verpflichtungen als Au-pair und dem Kampf mit Anträgen und Formularen meistert Adeola B. in weniger als einem Jahr eine weitere Sprachprüfung. Sie schafft das C1-Zertifikat, das für eine Tätigkeit im medizinischen Bereich Voraussetzung ist und ihr überdies ein weit fortgeschrittenes Sprachniveau bescheinigt.
Am Ende des Sommers wird die gute gemeinsame Arbeit und das Durchhaltevermögen von Adeola B. belohnt. Sie erhält die Teilanerkennung ihrer Ausbildung zur Hebamme. Eine Nachqualifizierung, die sicherstellt, dass sie über alle Kenntnisse der deutschen Ausbildung verfügt, wird sie in einem sechsmonatigen Anpassungslehrgang erhalten. Sie bekommt, was nicht selbstverständlich ist, einen unbefristeten Arbeitsvertrag, obwohl sie diese Schulung noch durchlaufen muss. Am 14. Oktober 2020 endete ihre Zeit als Au-Pair. Am 15. Oktober begann ihr neues Leben als Hebamme an einem deutschen Universitätsklinikum.
* Originalfall; zur Anonymisierung Name und Herkunftsland und einzelne unwesentliche Details geändert.
Integrationsförderung von Anfang an
Die Migrationsberatung für zugewanderte Menschen wie die Beratung für Geflüchtete der Wohlfahrtsverbände tragen erheblich dazu bei, dass Integration vor Ort gelingt. Um erfolgreich in Deutschland anzukommen, ist es besonders wichtig, dass die Beratung möglichst früh beginnt. Von daher müssen auch die Rahmenbedingungen der Integration für Geflüchtete so ausgerichtet sein, dass sie Integration befördern statt verhindern. Arbeitsverbote, Ausschluss aus der Sprachförderung, lange Aufenthaltszeiten in Erstaufnahmeeinrichtungen oder anderen großen Sammelunterkünften wirken sich kontraproduktiv aus auf den Integrationsprozess.
Vor diesem Hintergrund benötigt Baden-Württemberg dringend die Umsetzung eines Konzeptes zur Förderung von Integration und Partizipation von Anfang an. Dieses muss ganz verschiedene Aspekte bedenken: ein aufeinander abgestimmtes Konzept für eine gute Förderung des Erwerbs von sehr guten Deutschsprachkenntnissen; eine gezielte Förderung des Bildungserfolges von benachteiligten Kindern – egal ob aus einheimischen oder zugewanderten Familien –; die Förderung des Einstiegs von „Quereinsteigern“ ins baden-württembergische Bildungssystem; die nachhaltige Integration in den vor allem auch qualifizierten Arbeitsmarkt; eine städtebauliche Entwicklung, die Segregation entgegenwirkt; die gesellschaftliche Integration; gerechte Teilhabe, Diversität und politische Partizipation.
Diskriminierungen muss entgegengewirkt, Rassismus entschlossen bekämpft werden. Sichergestellt werden muss ein bedarfsgerechtes, flächendeckendes Beratungs- und Unterstützungsangebot für alle zugewanderten Menschen und Geflüchteten durch freie, gemeinnützige Träger in konsequenter Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips.
Insgesamt bleibt Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.