[Soziale Arbeit ist wertvoll]

„Wenn es uns nicht geben würde … “

Altenpflege kämpft um bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen

Der Pflegebedarf in Baden-Württemberg ist hoch. Allein hier sind 400.000 Menschen pflegebedürftig. Tendenz deutlich steigend. 90 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, über die Hälfte von ihnen durch An- und Zugehörige, 10 Prozent leben in stationären Einrichtungen. Die Corona-Pandemie hat der Pflege viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung gebracht. Gut für die Beschäftigten. Wie aber steht es um die grundsätzliche Wertschätzung dieses wertvollen Berufs? Im Seniorenzentrum Sonnhalde in Neuenbürg bei Pforzheim malt man ein ambivalentes Bild. „Die öffentliche Wahrnehmung der Altenpflege ist leider nicht immer positiv“, sagt Heimleiter Ludger Schmitt. „Was wir hier für wertvolle Arbeit leisten, wird zu wenig wahrgenommen.“

Sozial Arbeit ist wertvollDabei seien Pflegeheime Orte des Lebens. Im Heim habe man eine große Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten, so Schmitt. „Kochen, Gymnastik, Ausflüge, Theaterbesuche – das ist ein gutes Angebot!“

Das Image ist es, was den Mitarbeitenden in der Pflege zu schaffen macht. Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Das hat Renate Arlat direkt zu spüren bekommen. „Die Gesellschaft hat den Wert der Altenpflege nicht genügend auf dem Schirm“, ist sie überzeugt. „Selbst in meiner Familie nicht. Als ich gesagt habe, dass ich die Pflegeausbildung mache, hieß es: wie kannst Du nur. Du hast Abitur. Warum machst Du nicht was Besseres?“

In der Bevölkerung bestehe das Image, ins Pflegeheim komme man, um zu sterben. Dort lebten die Alten schlecht versorgt, kein Essen, kein Trinken, keine Angehörigen. Und durch die Pandemie sei dieser Eindruck noch verstärkt worden, ist Heimleiter Schmitt überzeugt. Berichte über Vereinsamung und Kontaktbeschränkungen hätten dazu ihr Übriges beigetragen. Applaus der Bevölkerung und Einmalzahlungen für das Pflegepersonal seien gute Zeichen gewesen. „Wirkliche Anerkennung aber hat für mich etwas damit zu tun, dass sich in den Arbeitsbedingungen grundsätzlich etwas ändert. Damit meine ich Finanzierungsmodelle, Personalschlüssel, Attraktivität des Berufs“, kritisiert Schmitt.

Dazu bekommt der Heimleiter aus Neuenbürg Rückendeckung vom Liga-Vorstand Urs Keller. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Pflege, die jetzt in der Pandemiezeit für alle offensichtlich geworden sei, müsse sich noch mehr im politischen Handeln widerspiegeln, so der Theologe. Besonders wichtig sei es, die Attraktivität der Pflegeberufe weiter zu erhöhen. Dazu gehörten auch gute Arbeitsbedingungen und die konsequente Umsetzung der neuen Pflegeausbildung. Die Rahmenbedingungen müssten dringend verbessert werden, in dem der wirtschaftliche Druck von den tarifgebundenen Einrichtungen und Diensten genommen wird. Das gut ausgebildete Personal sollte seine Energie endlich wieder auf Pflege und Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen lenken können, anstatt auf eine überbordende Bürokratie. Die Arbeitsverdichtung in allen Bereichen der Altenhilfe sei nicht weiter tragbar. Mehr Zeit für die Pflege komme letztlich Allen zu gute. Grundsätzlich brauche Pflege Rahmenbedingungen, die eine wirtschaftliche Betriebsführung und eine innovative und flexible Weiterentwicklung der Angebote ermöglichten – orientiert an den Bedarfen alter und pflegebedürftiger Menschen. Die Angehörigen, die den größten Teil in der Versorgung ausmachten, müssten künftig durch die professionellen Strukturen noch stärker unterstützt werden. Daher müsse das Netz von ambulanter Pflege, Tagespflege, Kurzzeit- und Langzeitpflege noch besser für die pflegebedürftigen Menschen, und für ihre Angehörigen noch tragfähiger werden. Dazu werde man im Wahlkampf intensiv das Gespräch mit den Parteien suchen und entsprechend Einfluss ausüben, so Keller.

Wirtschaftliche Betriebsführung, das bedeutet die Refinanzierung von Tarifsteigerungen und genügend Personal, um die Arbeitssituation zu entspannen. Fehlende Zeit, so sagt Renate Arlat, sei eines der ganz großen Probleme. „Wir könnten wirklich mehr Personal gebrauchen“, so die Pflegefachkraft. Damit hätte man mehr Zeit für die Bewohner und könnte besser auf ihre Bedürfnisse eingehen. „Ich stehe oft in dem Zwiespalt, nehme ich mir jetzt noch fünf Minuten Zeit für das Gespräch, oder breche ich es ab und mach die andere Arbeit? Man will ja allen Bewohnern, jedem einzelnen gerecht werden und jedem Zeit schenken.

Soziale Arbeit ist wertvollZeit. Die braucht man, um zuzuhören, Aufmerksamkeit zu schenken. Natürlich sei professionelle Facharbeit gefragt. Zum Beispiel in der Körperpflege, sagt Devon Mutsch. Aber der Wohnbereichsleiter in dem badischen Seniorenzentrum ist sich sicher: Wichtig für die Menschen sei nicht allein die Körperpflege. Wichtig ist sei das Reden, das Zuhören und einfach nur da zu sein. Die emotionale Seite, vor allem auch Gespräche. Dabei könne man Gedanken teilen, schöne Erinnerungen an früher. „Das Gefühl, das dann entsteht, begleitet die Menschen den ganzen Tag.“

„Wertschätzung“ und „wertvoll“ sind die Begriffe, die sich anscheinend unvereinbar gegenüberstehen. Sie ziehen sich durch die Erzählungen der Pflegeprofis in Neuenbürg. „Altenpflege ist eine Stütze der Gesellschaft“, ist Heimleiter Schmitt überzeugt. Viele Menschen könnten nicht arbeiten gehen, wenn sie ihren Vater oder ihre Mutter betreuen müssten. Und seine Pflegedienstleiterin Monika Sponagel ergänzt: „Wenn es uns nicht geben würde, würde die gesamte Versorgung der älteren Menschen wegfallen.“ Außerdem sei Pflege familienstabilisierend. „Wir haben viele Angehörige, die Ihre Lieben wirklich lange gepflegt haben. Die jetzt aber sagen, ich kann das nicht mehr. Unsere Familie geht kaputt durch diese Belastung.“ Pflege könne das auffangen und im wahrsten Wortsinne den Menschen ein Zuhause sein.

Es seien die vielen kleinen Begebenheiten, die den Pflege-Beruf so wertvoll machten. Ein kleiner Witz, eine Erinnerung, die vielen kleinen Dinge. An ihnen sehe man, wie viel Gutes man den Menschen bringen könne erzählen die Mitarbeitenden. „Wir waren einmal im Rahmen einer Bewohnerfreizeit auf Mallorca“, erzählt Ludger Schmitt. Als eine ältere Dame sagte, sie habe noch nie in ihrem Leben das Meer gesehen, haben wir sie links und rechts gepackt und sind ganz langsam mit ihr ins Meer hineingelaufen. Das hat sie ihr Leben lang nicht vergessen. Das war auch für mich ein totales Glückserlebnis, dass man Menschen so eine Freude machen kann.“

Es ist ein Geben und ein Nehmen. Menschen Zeit zu schenken, ihnen Familie zu sein und die Familie zu unterstützen. Dafür das Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung, der Nähe und Verbundenheit. Es entsteht ein Familiengefühl – auf beiden Seiten. Aber dieses Geben verlangt nach Zeit, nach ausreichend Personal. Setzt voraus, dass die Heime nicht aus wirtschaftlichem Druck am falschen Ende sparen müssen. Der Respekt vor der älteren Generation gebietet, dass Pflege bei der kommenden Landesregierung die Wertschätzung erfährt, die ihr zusteht.

Um welchen Wert es dabei geht, zeigt eine Erfahrung von Wohnbereichsleiter Devon Mutsch: „Einmal sagte mir ein Bewohner nach einigen Monaten „jetzt bin ich daheim“. In diesem Moment habe ich mir gedacht: jetzt hast Du vieles richtig gemacht!“

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Bessere Rahmen­bedingungen für die Pflege

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